Corona: Der Zauberstift oder „Ernährungswende jetzt!“

Auch wenn es eigentlich von Anfang an klar war, scheint es, als würden wir allmählich realisieren, dass wir eine Art „Zwischennormalität“ werden finden müssen zwischen Lockdown und dem möglichen Einsatz einer irgendwann mal vorhandenen hoffentlich sicheren Impfung. Deren Wirksamkeit hängt klar davon ab, leicht das Virus mutiert, was überhaupt noch nicht klar ist. Ein völlig anderer Lösungsansatz fehlt mir in der öffentlichen Debatte bisher gänzlich.

Wo bleibt die nationale Präventionsstrategie?

Wir haben in den letzten Wochen viel gelernt. Wir haben uns in Social Distancing geübt, halbwegs an Schutzmasken gewöhnt, waschen und desinfizieren uns ständig die Hände und wir stellen etwas beruhigt fest, dass viele minderschwere Verläufe auftreten, die für die Betroffenen gut verkraftbar sind. Wir passen trotzdem auf, machen – mehr oder weniger bereitwillig – alle Eindämmungsmaßnahmen mit, weil wir natürlich merken, dass der Dreh- und Angelpunkt einer erfolgreichen Strategie die Verantwortung für uns selbst und füreinander ist. Und genau das ist der Punkt, den wir längst schon vor Corona hätten lernen müssen – als Einzelne, aber auch als Gesellschaft.

Corona erinnert mich an den Zauberstift, den wir als Kinder hatten, der Vorhandenes sichtbar macht. Sie erinnern sich? Man schrieb mit einem Stift „unsichtbar“ eine geheime Botschaft auf ein Blatt Papier, und der Empfänger nahm den „Zauberstift“, malte damit über das ganze Blatt. Das Geschriebene wurde sichtbar und der Empfänger konnte die Botschaft lesen.

Covid-19 ist ein Problem. Aber das Virus ist nicht DAS Problem. Es macht vorhandene Probleme sichtbar.

Nur die Senioren isolieren?

Es kann doch keine ernsthafte Option sein, unsere Senioren über Monate zu Hause festzuhalten, damit die Jüngeren sich darum kümmern können, dass die Produktivität („die Wirtschaft“) nicht völlig den Bach runtergeht! Gerade bei den Alten sollte es nicht nur um Über-Leben, sondern um Leben gehen, um Lebensqualität. Gerade sie, die nur noch eine geringe Spanne Zeit vor sich haben, spüren, wie wertvoll diese ist! Ungelebtes Leben trifft sie deshalb besonders schwer.

Das durchschnittliche Alter eines an Covid-19 Verstorbenen beträgt in Deutschland 82 Jahre. Dabei hat sich dennoch sehr schnell angedeutet, dass das Alter gar nicht der entscheidende Faktor ist, sondern die Vorerkrankungen. Gerade Diabetes, der mit einem beeinträchtigten Immunsystem einhergeht, und Bluthochdruck, der die Mikrozirkulationsstörungen der Lunge begünstigt, sind Erkrankungen, die in vielen Fällen vermeidbar wären.

Jahrzehnte lang die falsche Strategie

Für jemanden, der sich jahrelang mit Ernährungswissenschaft beschäftigt, ist es nur schwer erträglich, dass der Primärprävention in Deutschland ein so geringer Stellenwert zukommt. Wir geben Unsummen Versichertengelder aus, um die ständig steigenden, vermeidbaren Krankheiten unserer Senioren jahrzehntelang zu managen, wir setzen auf Überleben bei teilweise sehr eingeschränkter Lebensqualität und verkaufen es auch noch als Erfolg, das heute jemand mit Typ-2-Diabetes viel länger überlebt, als früher. Welch ein Pyrrhussieg! Man hat sich damit zufriedengegeben, Krankheiten zu verwalten, anstatt sie zu vermeiden oder gar zu heilen. Die ständig steigenden Demenzerkrankungen werden damit erklärt, dass „die Menschen immer älter werden“. Ein Erklärungsansatz, der die Betroffenen zwar von jeder Verantwortung befreit, der ihnen aber auch gleichzeitig jedes Gefühl der Selbstwirksamkeit nimmt – und völlig zu Unrecht!

Das Virus-Problem ist akut – die Ursache chronisch

Bei meinem letzten Sommerurlaub in Dänemark fiel mir etwas auf. Wir radelten über Landstraßen und Spazierwege von Kopenhagen nach Berlin. Von einem Tag auf den anderen waren die dänischen Wege voll mit rucksacktragenden Wanderern zwischen etwa 16 und über 80 Jahren, mehrheitlich schlank und mit gesunder Gesichtsfarbe, die uns freundlich grüßten. Aaaah! Es war Wochenende! Es scheint dort zum guten Ton zu gehören, seine Freizeit so zu gestalten, dass es der Gesundheit und der Regeneration dient.

Nach einigen Tagen ging es mit der Fähre über die Ostsee und weiter mit dem Fahrrad durch den Nordosten Deutschlands, also eine der Regionen, die vom Strukturwandel nach der Wende besonders hart getroffen waren. Wer kein Auto hat, hat mitunter kaum die Möglichkeit, gesunde, frische, naturbelassene Lebensmittel zu bekommen, denn vielerorts gibt es – wenn überhaupt – nur einen Discounter und das, was vom durchschnittlichen Haushaltseinkommen machbar ist, sind eben in der Mehrheit billige kohlenhydratreiche Nahrungsmittel: Nudeln und andere Weizenprodukte, Produkte mit viel zu viel Zucker und hohem Verarbeitungsgrad. Hochwertige, proteinreiche Lebensmittel und gesunde Fette sind für viele unerschwinglich oder in den Läden gar nicht zu bekommen – die Nachfrage fehlt. Das Ergebnis nennen Forscher die „Double-burden“: immer mehr Menschen fehlt es an lebenswichtigen Mikronährstoffen, damit ihr Stoffwechsel funktionieren kann, was dazu führt, dass sie gleichzeitig mangelernährt und trotzdem übergewichtig sind. Das führt unter anderem zu einer der höchsten Diabetes-Prävalenzen in Deutschland! In Dänemark ist sie nur etwa halb so hoch.

Kaum ein Deutscher über 60, in dessen Körper nicht ein Schwelbrand von stillen Entzündungen sein Unwesen treibt, mit den bekannten Folgen: Übergewicht und Adipositas, Diabetes, Depressionen und demenzielle Erkrankungen sind auf dem Vormarsch. Und mit dieser Hypothek hat Covid-19 leichtes Spiel.

Man wird ja nochmal träumen dürfen…

Was würde nun passieren, wenn wir ähnlich viele fitte, aktive Senioren hätten wie in Dänemark, gepaart mit unseren gut ausgestatteten Krankenhäusern, die sich gerade jetzt als so leistungsfähig erweisen? Ich denke, Covid-19 wäre für uns in Deutschland kein großes Thema mehr und niemand würde über die Notwendigkeit eines erneuten Lockdowns diskutieren müssen. Wir würden uns nach wie vor hier und da mit SARS-Cov-2 infizieren, weil es eben bei aller Vorsicht ein Restrisiko gibt, aber wir könnten die Anzahl schwerer Verläufe weiter senken und die Betroffenen gut behandeln, ohne die Angst, dass es das Gesundheitssystem sprengt.

Falsche Anreize abschaffen – und umsteuern!

Es ist mir unbegreiflich, dass es selbst sechs Wochen nach dem Lockdown immer noch keine staatliche Präventionskampagne gibt, die die bisherigen Schutzmaßnahmen in der Zukunft ergänzen könnte. Wir beruhigen in Deutschland unser Gewissen mit einem Flickenteppich aus Schulprojekten, Projekten in der Seniorenernährung und der Gemeinschaftsverpflegung, aber im Großen und Ganzen ist die Prämisse immer noch: es darf bloß nicht zu teuer sein!

Wir wissen, dass die vorherrschende Subventionspolitik in der Landwirtschaft völlig falsche Anreize schafft und das viele Landwirte gerne anders wirtschaften würden, wenn sie es sich denn leisten könnten. Solange die EU eine „wachse oder weiche“-Strategie fährt, die auf den weltweiten Export landwirtschaftlicher Erzeugnisse abzielt, wird eine flächendeckend nachhaltige Bewirtschaftung und eine Regeneration der Böden nicht möglich sein.

Pflanzenschutzmittel, allen voran Glyphosat, machen die Pflanzen unempfindlicher gegen Schadorganismen und schädigen viele – auch nützlich – Insekten direkt, bis zum Aussterben. Ähnlich dezimiert wird die Vielfalt unserer Darmbakterien. Wir wissen, dass eine Nebenwirkung der Pflanzenschutzmittel ist, dass sie die Immunität im menschlichen Darm beeinträchtigen, indem das Bakterienspektrum, das wir für ein gesundes Leben brauchen, immer weiter eingeengt wird. Zudem hemmen sie den Aufbau von essentiellen Aminosäuren in der Pflanze – genau die Aminosäuren, die wir Menschen eigentlich brauchen würden, um Hormonbausteine für unser seelisches Gleichgewicht zu bilden! Depressionen haben in sehr vielen Fällen ganz handfeste, körperliche Ursachen. Sie sind nicht deshalb so sehr auf dem Vormarsch, weil unser aller Leben so schrecklich geworden ist! Wir könnten in der besten aller Zeiten leben, wenn wir sie nur besser gestalten würden.

Lebensmittel brauchen ehrliche Preise

Es hat sich mir nie erschlossen, wie man in einer Fertigpizza, die zu einem großen Teil aus Weizenmehl (also schnell verfügbaren Kohlenhydraten) besteht, auch noch über 20 Gramm Zucker unterbringen kann! Aber so hat es die Industrie geschafft, uns über Jahre hinweg an immer süßere, völlig unnatürliche Geschmäcker zu gewöhnen. Und leider ist Geschmack eine Lernaufgabe…

Jedes Gramm Zucker zuviel in Lebensmitteln, zieht enorme Krankheitskosten im System nach sich, die uns alle belasten. Eine Zuckersteuer könnte helfen, diese Krankheitskosten zu decken und einen deutlichen Anreiz schaffen, dass die übertrieben Zuckergehalte in Fertiglebensmitteln gesenkt werden. Kein Zuckerzusatz – keine Steuern – weniger Krankheitskosten.

Es muss uns etwas wert sein

Wir haben uns daran gewöhnt, das Lebensmittel erschreckend billig sind, und das wird auch von viel zu wenigen hinterfragt. Subventionen kann man abschaffen – oder auf gesunde, ökologisch produzierte Lebensmittel umleiten. Durch eine solche Veränderung der Anreize können sich auch die Kaufentscheidungen von Menschen mit niedrigem Haushaltseinkommen verändern, sodass in Zukunft arm nicht automatisch auch krank bedeuten müsste.

Ein Gesundheitssystem, das diesen Namen verdient, muss Gesundheit lohnenswerter machen als Krankheit. Es muss auf Primärprävention und Eigenverantwortung setzen und einen aktiven Lebensstil attraktiver machen als die Verwaltung von Krankheit. Vorbeugen ist besser als heilen!