In Memoriam: David Servan-Schreiber

Geht es Ihnen auch so wie mir, wenn Sie gefragt werden, ob sie ein Vorbild haben? Sie überlegen, aber es fällt Ihnen dann doch nicht so recht ein, was sie sagen sollten?

Seit ich die Geschichte von David Servan-Schreiber kenne, habe ich eine Antwort auf diese Frage.

Der Mitbegründer von Ärzte ohne Grenzen wurde Anfang der 60er Jahre in der Nähe von Paris geboren, lebte und forschte in Kanada, in den USA und Lyon.

Keiner hätte geglaubt, dass er eine Chance haben würde, in seinem Leben derart herausragende Forschung zu betreiben, mit seiner Frau zusammen vier Kinder zu bekommen und sie aufwachsen zu sehen.

Als David Servan-Schreiber 31 Jahre alt war, entdeckte er bei sich selbst einen aggressiven Gehirntumor. Durch seine Arbeit als Neurologe in den USA hatte er genug Patienten auf ihrem Weg begleitet, um einschätzen zu können, was das mit hoher Wahrscheinlichkeit für ihn bedeuten würde. Während er noch das Unvermeidliche über sich ergehen lässt, Operation, Chemotherapie weiß er, dass er alles daran setzen wird, herauszufinden, wie dieser Tumor entstanden ist und was er ihm entgegensetzen kann. Die Schulmedizin schenkt ihm Zeit. Zeit, in der ihn die Krankheit zum Forschungsthema seines Lebens führt.

Er beginnt, sich einzuarbeiten in die Studien über alternative Heilmethoden und übernimmt kompromisslos die Verantwortung für seine Gesundheit. Er brennt für seine Idee, Krebs mit einer veränderten Lebensweise in Schach zu halten. Mit ihm zu leben.

Er wird zum Provokateur, nimmt es in Kauf, dass er mit seinen Ansichten belächelt wird. „Krebs heilt man doch nicht mit Yoga und Brokkoli!“ Und lebt weiter zum Trotz, Jahr um Jahr, er forscht und reist unermüdlich um die Welt, um seine Erkenntnisse über die Selbstheilungskräfte des Körpers mit anderen zu teilen, als Chance für jeden, der darum weiß.

Seine eigene Geschichte verleiht ihm die Glaubwürdigkeit, die es braucht, um gehört zu werden – von Ärzten, die ihren Krebspatienten den lebensgefährlichen Rat geben: „Essen Sie am besten einfach, was ihnen schmeckt!“, auch wenn sie dadurch krank geworden sind. Und von Patienten, die beten, dass die Chemotherapie bei ihnen anschlägt und davon überzeugt sind, dass ihr Überleben reine Glückssache sei. Von Menschen, die das alles für blühenden Unsinn halten und ihn selbst für den, der eben den „Sechser im Lotto“ gezogen hatte, einen solchen Tumor in Remission zu schicken.

Dabei ist er nie der Ansicht, ein Wundermittel gegen Krebs gefunden zu haben. Er wollte einfach lernen, seinen Zustand positiv zu beeinflussen. Möglichkeiten finden, die jedem offenstehen, ohne jede Garantie – für ihn selbst so wenig wie für jedem anderen Krebspatienten.

Im Frühjahr vor fünf Jahren ist David Servan-Schreiber gestorben. Mit fünfzig Jahren, an seinem Gehirntumor, einem Glioblastom.

Nein, Brokkoli, Yoga und der unbedingte Wille zum Leben konnten den Tod letztendlich auch nicht besiegen. Sie konnten nicht verhindern, dass David Servan-Schreiber sich viel zu früh von seiner Familie, auch von seiner gerade sechs Monate alten Tochter verabschieden musste. Aber sie haben ihm unglaubliche zwanzig Jahre Zeit gegeben, mit einem Tumor, den fünfundneunzig Prozent der Betroffenen keine fünf Jahre überleben. Zeit in der er seine Bestimmung gefunden hat, Menschen Mut zu machen, aktiv und selbstbestimmt zu bleiben, auch nach einer scheinbar hoffnungslosen Diagnose.

Er wußte genau, dass ihm ohne die Möglichkeiten der klassischen Schulmedizin keine Zeit geblieben wäre, das integrative Konzept gegen Krebs zu entwickeln, mit dem er so vielen Menschen weltweit helfen konnte. Als Neurologe und Psychiater hatte er mit Esoterik wenig am Hut, wohl aber damit, Belege zu finden für die komplementären Verfahren, die so viele seiner Kollegen als „wissenschaftlich nicht belegt“ abtun – und damit so vielen Menschen mögliche Chancen vorenthalten.

Wie schön wäre es, könnte man anerkennen, dass sehr wohl wirken kann, was mit unseren Mitteln heute noch nicht erklärbar ist.

Als es darum ging, dem Tod ins Auge zu sehen, entschied er sich, ein Buch zu schreiben über sein eigenes Sterben, über Dankbarkeit und Angst, über seinen bewussten Abschied vom Leben. Aber auch über Leben bis zum letzten Augenblick.