Corona: Mikronährstoffe und wie man sie (nicht) bekommt
„Wer sich ausgewogen ernährt, braucht keine Nahrungsergänzungsmittel.“ So wird es gebetsmühlenartig wiederholt – und als Ökotrophologin kann man das irgendwann nicht mehr hören.
Täglich erleben wir, wie medizinisch völlig ahnungslose Journalisten sich vor diesen Karren spannen lassen. Es ist ja auch viel los in der Welt – wer hat denn noch Zeit, Quellen zu prüfen? So wird einer flächendeckenden Desinformation Vorschub geleistet, die gerade in Zeiten von Corona Menschenleben kosten kann. Ob das den Autoren bewusst ist?
Wer soll das alles essen?
Die Überzeugung, dass es mit der ausreichenden Nährstoffversorgung so einfach doch nicht sein kann, kam mir im fünften Semester. In einer Vorlesung ging es um Makro- und Mikronährstoffe, also Fette, Kohlenhydrate, Proteine sowie sämtliche Mineralien, Spurenelemente und Vitamine. Zu jedem einzelnen Stoff gab es eine Liste mit Lebensmitteln, in denen besonders hohe Mengen dieses Stoffs enthalten waren. Meistens stand an erster Stelle irgendein „Ausreißer“, der bei kaum jemandem heute noch auf dem Speiseplan steht (so etwas wie Schweineleber, zum Beispiel). Zwei Folien weiter kam dann die Zufuhrempfehlung der DGE und ich saß da und rätselte, wie ich bei all diesen Stoffen, selbst unter Nutzung sämtlicher Synergieeffekte meinen Speiseplan oder den meiner Patienten zusammenstellen müßte, um nur halbwegs auf die Zufuhrempfehlung zu kommen – bei normal gesunder Lebensmittelzusammensetzung und durchschnittlichen Mengen. „Interessant, denke ich mir. Ich muss also pro Tag 200 Gramm Leber, ungefähr acht Eier, zwei Kilo Brokkoli, 600 Gramm Linsen, 800g Salat … ok – lassen wir das!“ Sehr schnell war klar, dass es sich hierbei um sehr theoretische Größen handeln musste, die allein mit gesunder Ernährung kein Mensch erreichen konnte.
Nährstoffmängel sind die Regel, nicht die Ausnahme
Ich habe in meiner ernährungstherapeutischen Praxis (ich kümmere mich schwerpunktmäßig um Menschen mit depressiven Tendenzen und beginnender Vergesslichkeit) noch nie einen Patienten erlebt, der nicht mindestens einen gravierenden Nährstoffmangel hatte, meistens waren es mehrere.
Hauptrisikogruppe für Covid-19 leidet wohl am häufigsten unter Nährstoffmängeln
Bei Senioren geht oft schleichend der Geschmackssinn verloren – Geschmäcker wie sauer, salzig und bitter werden verfälscht oder gar nicht mehr wahrgenommen. Einzig der Sinn für Süßes bleibt erhalten – sodass folglich manchmal auch nur noch Süßes gewünscht wird. Ich erinnere mich an einen Patienten, der das letzte halbe Jahr seines Lebens nur noch Vanillepudding wollte – weil er alles andere nicht mehr schmecken konnte. Ein Extremfall, ja. Aber das tragische ist, dass daraus resultierende Probleme wie Übergewicht, Bluthochdruck, Insulinresistenz mit all ihren Folgeerscheinungen, Fettleber und schlechte Blutfettwerte, Erschöpfungssyndrome, Demenz, Depressionen trotzdem ungeprüft einer psychologischen Ursache zugeschrieben oder als Alterserscheinung abgetan werden – und die Senioren deshalb oft völlig grundlos leiden…
Inzwischen wissen wir: Keineswegs sind es nur die vielzitierten Vegetarier und Veganer, denen es an Vitamin B12 und Eisen fehlt (gerade ihnen fehlt es oft nicht, weil sie normalerweise wissen, dass sie zum Ausgleich ein Präparat einnehmen und regelmäßig ihr Blut kontrollieren lassen müssen). 80 Prozent der Bevölkerung haben eine Unterversorgung bzw. einen Mangel an Vitamin D, vielen fehlt es überdies an Vitamin B1 (das trifft nicht nur Alkoholiker, sondern auch Pastajunkies…), Selen, Jod, Folsäure, Eisen und Omega-3-Fettsäuren – nach allem anderen wird erst gar nicht gesucht. Jeder dieser Mängel ist letztlich einfach zu erklären – und zwar nicht nur durch unsere Ernährung, sondern auch durch die Art, wie wir Fisch und Gemüse produzieren, wie wir mit unseren Ackerböden umgehen.
Aufklärung, Integration und Prävention statt Regulierungswut
Anstatt nun eine stärkere Regulierung von Nahrungsergänzungsmitteln zu fordern, würde ich von der Politik erwarten, dass sie dieser Tatsache endlich Rechnung trägt und Ärzte, aber auch die Bevölkerung selbst anhält, solche Mängel festzustellen und zu beheben, gerade jetzt in Zeiten von Corona. Wir wissen inzwischen sehr genau, wie eng ein funktionierendes Immunsystem mit einer guten Nährstoffversorgung zusammenhängt.
Gerade die fettlöslichen Vitamine (A, D, E und K) sollten Ärzte und Heilpraktiker im Blick haben – einfach deshalb, weil sie überdosierbar sind. Die Gefahr ist zwar weitaus geringer, als sie gern dargestellt wird, aber sie besteht. Wer aber nun eine unaufgeklärte Selbstmedikation nach Gutdünken verhindern möchte, dem hilft nicht mehr staatliche Regulierung von Präparaten, sondern Ärzte, die das Problem ernst nehmen und testen, Krankenkassen, die diese Tests bezahlen und Ernährungstherapeuten, die Patienten fundiert erklären, worauf sie bei der Ernährung achten müssen. Sehr viele Menschen profitieren von guten Nahrungsergänzungsmitteln zur rechten Zeit. Die Behauptung, bestehende Nährstoffmängel ließen sich durch Ernährung allein in den Griff bekommen, ist graue Theorie und missachtet sowohl die Lebenswirklichkeit der Patienten als auch den Zustand unserer Lebensmittel.
Worauf kommt es, gerade in Pandemie-Zeiten, im Einzelnen an – und warum?
Vitamin A – Weniger Masern, weniger Sterblichkeit, bessere Impfwirkung
Das Cochrane-Institut hat eine Meta-Analyse von 47 Studien mit über einer Million Kindern durchgeführt und festgestellt, dass gut versorgte Kinder seltener an Masern erkrankten, das bei ihnen Grippeimpfungen besser wirkten und die allgemeine Sterblichkeit zurückging. Während ein Vitamin-A-Mangel in Entwicklungsländern die häufigste Ursache für Blindheit bei Kindern ist, bleibt er in Industrieländern meist unterschwellig und damit unentdeckt. Dabei stärkt Vitamin A in der richtigen Dosierung das Immunsystem schon auf der Ebene der Gen-Transkription.
(Liebe Impfkritiker – damit wir uns richtig verstehen: Ich bin NICHT der Meinung, dass Vitamin A eine Masernimpfung ersetzt und niemand sollte seinem Kind ohne Test hohe Dosen von isoliertem Vitamin A verabreichen!!!)
Vitamin C – die zelluläre Abwehr stärken
Vitamin C steckt vor allem in T-Lymphozyten, wo es 10-100 Mal so hoch konzentriert ist wie im Blut. Ein Mangel an Vitamin C (denken Sie daran, wenn sie häufiger unter Zahnfleischbluten leiden) erhöht das Risiko für virale Infektionen unterschiedlicher Art, und sie dauern auch länger, weil die zelluläre Abwehr dadurch deutlich gestört ist und Immunzellen nicht richtig ausreifen. Wenn Sie allerdings täglich mindestens fünf Portionen frisches Obst oder rohes Gemüse essen, brauchen Sie sich darüber keine Gedanken machen. Kein Problem, oder???
Bei einer akuten Atemwegsinfektion entstehen aggressive Sauerstoffradikale. Sie „verbrauchen“ sehr viel Vitamin C. Haben die Immunzellen genug davon, dann umschließen sie die Viren und fressen sie auf. In Wuhan werden gerade Studien zu Vitamin-C-Infusionen bei Patienten mit Covid-19 durchgeführt. Prinzipiell allerdings wurde die Wirkung des Vitamins auf Immunzellen und bei künstlicher Beatmung in der Intensivmedizin bereits erfolgreich getestet, von keinem geringeren als Prof. Biesalski veröffentlicht – vor über 15 Jahren! Sein Standardwerk „Ernährungsmedizin“ darf bei keinem Ökotrophologen im Bücherschrank fehlen.
Vitamin D – das unterschätzte Sonnenvitamin
Seit Jahren frage ich mich, warum wir in Deutschland einen so weitverbreiteten Mangel an Vitamin D haben. Es heißt doch immer, 20 Minuten draußen ohne Sonnencreme würde diesen verhindern? Inzwischen ist klar, dass Viren in der Lage sind, den Vitamin-D-Rezeptor herunterzuregulieren – eine clevere Strategie, um die Abwehr herabzusetzen, sodass sie sich leichter vermehren können. Es liegt also nahe, dass Menschen mit persistierenden Viren (sehr weit verbreitet: Herpes-Arten, Epstein-Barr-Virus) dadurch fast zwangsläufig einen Mangel an Vitamin D haben. Im Alter schwindet auch die Fähigkeit, Vitamin D in der Haut selbst zu bilden. Das könnte der Grund sein, warum bei manch einem selbst nach einem Sommerurlaub der Vitamin-D-Spiegel noch im Keller ist. Er darf schon bei 40-70ng/ml liegen!
Nicht nur unsere Knochen, auch unser Immunsystem ist also darauf angewiesen. Wem es an Vitamin D fehlt, der ist deutlich anfälliger für Infektionen der oberen Atemwege. Das Vitamin steigert die Produktion von antimikrobiellen und antiviralen Eiweißen und senkt so z.B. die Wahrscheinlichkeit an einer Erkältung zu erkranken.
Omega-3-Fettsäuren – ein natürlicher Entzündungshemmer wird zur Rarität
In meinem Studium habe ich auch noch gelernt, dass fetter Seefisch (also Lachs, Hering, Makrele) eine gute Quelle für Omega-3-Fettsäuren sei. Den kurzkettigen Fettsäuren, wie wir sie in Leinöl finden, sind die langkettigen, marinen Omega-3-Fettsäuren insofern überlegen, da sie im Körper entzündungshemmende Eicosanoide bilden. Das allerdings setzt voraus, dass der Fisch aus Wildfang stammt! Wir haben also an dieser Stelle ein offensichtliches Nachhaltigkeitsproblem. Folglich stammen die meisten Fische heute aus Aquakulturen und bekommen merkwürdige Dinge zu fressen (Getreide, Sonnenblumenöl), die sie in der freien Natur nie finden würden. Auf diese Weise bauen sie keine entzündungshemmenden Omega-3-, sondern entzündungsfördernde Omega-6-Fettsäuren auf, sodass ihre Wirkung in unserem Körper ins Gegenteil verkehrt wird…
Das exakt gleiche Problem haben wir mit Milchprodukten. Ein paar Omega-3-Fettsäuren stecken nach wie vor in Vollmilch von draußen gehaltenen Bio-Weidekühen. Milch von „Turbokühen“, die mit Kraftfutter bei Laune gehalten werden um nach wenigen Jahren völlig ausgelaugt und entkräftet den Löffel abzugeben, hat ein völlig anderes Fettsäureprofil und ist vielmehr geeignet, Menschen krank zu machen, als ihrer Gesundheit zuträglich zu sein.
So sind die entzündungshemmenden Omega-3-Fettsäuren fast vollständig aus unserer Nahrung verschwunden (und es gibt tatsächlich Menschen, die sich wundern über das immer häufigere und frühere Auftreten entzündlicher Erkrankungen)! Da ist natürlich viel auszugleichen. Wer nicht zehn bis fünfzehn Omega-3-Pillen pro Tag zu sich nehmen möchte, der hat die Möglichkeit, auf Algenöl zurückzugreifen, das man z.B. in einem Salatdressing „unterbringen“ kann. Aber Achtung! Ein Teelöffel pro Person und Tag, je nach Präparat – auch hier gibt es ein „Zuviel des Guten“.
Die immunrelevante Wirkung von langkettigen Omega-3-Fettsäuren ist lange bekannt. Gerade im Hinblick auf Viren (Studien mit Influenza- und Hepatitis-C-Viren) fanden chinesische Forscher jetzt heraus, dass Omega-3-Fettsäuren einen Stoff enthalten, der die Virusreplikation verlangsamt und den Körper in seinem Kampf gegen Viren stärkt – es ist gut möglich, dass dies auch in Bezug auf SARS-Cov-2 gilt.
Selen – der Feuerlöscher
Die Versorgung mit Selen in verschiedenen Regionen der Welt hängt ganz stark vom Gehalt des Minerals in unseren Böden ab. Während sich in manchen Gegenden Asiens Menschen durch heimische Ackerfrüchte mit Selen vergiften könnten (nicht in Wuhan, die dortigen Böden sind sehr arm an Selen), leiden weltweit etwa eine Milliarde Menschen an einem Mangel, viele von ihnen in Europa. Hier wird der Klimawandel das Problem in Zukunft noch verschärfen.
Bei Selenmangel vermehren sich Viren schneller im Körper, breiten sich auch leichter aus und mutieren auch leichter. Diese höhere Mutationswahrscheinlichkeit konnte man anhand von Grippeviren belegen. Grund ist, dass gleich zwei Faktoren den oxidativen Stress in einer Zelle steigern: Grippe- und Corona-Viren (es gibt ja neben dem neuen auch ein paar alte Stämme, die besser erforscht sind) tun das ohnehin auf direktem Weg, zum anderen ist bei Selenmangel das Enzym Glutathion-Peroxidase weniger aktiv. Beides zusammen erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Virus-RNA oxidativ geschädigt wird und dadurch mutiert, ein Vorgang, der unter ungünstigen Bedingungen auch in der DNA gesunder Körperzellen vorkommen und sie in Krebszellen verwandeln kann. Auch um Antikörper gegen ein Virus zu bilden und für eine gut funktionierende Schilddrüse wird Selen gebraucht.
Zink – nicht nur bei Erkältungen
Virale Atemwegserkrankungen heilen bei guter Zinkversorgung schneller aus – auch dies hat eine Cochrane-Metaanalyse von 33 Studien ergeben. Tausende von Enzymen im Körper, von denen viele eine Rolle bei der Immunabwehr spielen, sind abhängig von diesem Stoff. Zink wird für eine intakte Darmschleimhaut gebraucht, es reguliert den Vitamin-A-Haushalt und die Verhältnismäßigkeit einer Abwehrreaktion.
Ein Zinkmangel sorgt für einen Überschuss an Entzündungsbotenstoffen und einen Mangel an B-Zellen und natürlich ein Ungleichgewicht zwischen den verschiedenen T-Zell-Typen. Die wichtigen regulatorischen T-Zellen können dann nicht in ausreichender Menge produziert werden. Genau sie sind aber wichtig, damit unser Immunsystem ausreichend scharf ist ohne aber überzuschießen.
Und noch ein interessantes Faktum: Das umstrittene und sehr preiswerte Malariamedikament Hydroxychloroquin, das testweise gegen Covid-19 eingesetzt wurde, scheint sehr wohl zu funktionieren. Die Studie, die das widerlegen wollte, strotzt vor methodischen Schwächen. Allerdings funktioniert es nur mit ausreichend Zink! Und auch wenn der amerikanische Präsident zuletzt merkwürdige Ideen geäußert hat, was die Gesundheitspflege seiner Bürger betrifft, so kann man sicherlich davon ausgehen, dass er hervorragende Ärzte haben dürfte. Es würde mich wundern, wenn er sich diese Kombination, die er nach eigenen Aussagen seit einer Weile prophylaktisch einnimmt, selbst verordnet hätte…
Empfehlungen zu Mikronährstoffen von oberster Stelle sollte zum Pandemiemanagement gehören
In der Pandemie auf Social Distancing, Schutzmasken, Händewaschen, auf die Entwicklung von Medikamenten und vielleicht auch einer Impfung zu hoffen, ist sicherlich alles richtig. Aber es reicht nicht aus. Im Moment leisten wir es uns, einen ganzen Präventionsbereich unbeachtet zu lassen, auf Kosten der Wirtschaft, auf Kosten der Gemeinschaft und auf Kosten der Lebensqualität vor allem unserer Senioren. Es ist höchste Zeit, dass sich das ändert.
Bis sich eine Impfung wirklich als sicher erwiesen hat und das Virus als so wenig mutationsfreudig, dass sie überhaupt sinnvoll ist, müssen wir mit SARS-Cov-2 vernünftig umgehen. Vernünftig, das heißt gelassen, ohne Angst- und Panikmache, aber auch vorsichtig genug, dass wir keinen weiteren Lockdown, noch mehr vernichtete Existenzen oder eine hohe Anzahl Tote riskieren.
Daraus kann man eigentlich nur den Schluss ziehen, dass spätestens bei einem positiven Corona-Test standardmäßig auf die o.g. Nährstoffe getestet werden sollte, damit Mängel vielleicht gerade noch rechtzeitig ausgeglichen werden können – wenn es schon vorher versäumt wurde.
Sehr viel besser wäre natürlich ein von der Krankenkasse finanzierter Check auf Vitamine und Mineralien im Blut bzw. Urin in regelmäßigen Abständen, mindestens ab dem 50. Lebensjahr alle fünf Jahre. Warum gerade da? Weil mit zunehmendem Alter das Risiko für Mangelernährung (u.a. durch schlechtere Nährstoffaufnahme im Darm) steigt, gleichzeitig hat eine Demenz meist noch nicht eingesetzt und eine Ernährungsumstellung ist oft noch umsetzbar.
Das wäre mal eine sinnvolle und vermutlich ungemein kostensparende Präventionsmaßnahme im Gesundheitssystem. Wer weiß? Vielleicht könnten dann sogar mittelfristig unsere Krankenkassenbeiträge sinken. Aber wer will das schon?