Think twice: Wenn Cholesterin wirklich runter muss
Im letzten Post habe ich geschrieben, wozu wir Cholesterin brauchen.
Dass es für uns lebenswichtig ist, bedeutet jedoch nicht, dass es nicht doch manchmal sinnvoll ist, es zu senken.
Die Wahrheit ist: Keiner weiß genau, wann man einen Cholesterinspiegel wirklich senken muß. Sicherlich gibt es Fälle, in denen manches dafür spricht.
Cholesterinsenkung ist in den Leitlinien für Herzpatienten „unumstößlich“ verankert
Die Meinung, dass Cholesterin der Bösewicht sei, der reihenweise Herzinfarkte verursacht, hält sich hartnäckig. Deshalb sehen die Leitlinien auch standardmäßig für Risikopatienten die Einnahme von Statinen vor. Im Augenblick ist es nur eine Minderheit vor allem junger Ärzte und Therapeuten, die dieses Dogma in Frage stellt.
Und für die ergibt sich ein gewisses Dilemma:
Ein Arzt, der die ganze Cholesterinsenkerei für Humbug hält, entschließt sich entgegen der Leitlinien, zehn seiner Patienten nicht mit Statinen zu behandeln, sondern deren erhöhte Werte zu tolerieren. Dann bekommt Patient A tatsächlich einen Herzinfarkt. Was wird der Arzt sich hinterher von den behandelnden Kollegen im Krankenhaus („Wieso wurde diesem Patienten bei den Werten kein Statin verschrieben? Kunstfehler!“) und möglicherweise auch von dem Patienten selbst (Sie hätten mich darüber besser aufklären müssen!“) anhören darf?
Es fragt in dem Moment keiner nach den Patienten B-J, die bei guter Gesundheit unmedikamentiert zu Hause sitzen und ihr Leben genießen.
Letztlich kann keiner außer dem Patienten selbst, die Verantwortung übernehmen, wenn „etwas passiert“. Auch der Arzt kann im Zweifelsfall keinen hundertprozentigen Beweis beschaffen, sondern nur Indizien, denen in diesem Wissenschaftsstreit die Indizien der Gegenseite und die scheinbare „Evidenz“ gegenüberstehen.
Bei den Patienten, die trotz Medikamenteneinnahme den Herzinfarkt bekommen, kann man sich dann zurücklehnen und hat vermeintlich „alles getan, was möglich war“.
Wenn man bei einem leicht erhöhten Cholesterinspiegel gelassen bleibt und nicht medikamentiert, heißt das jedoch nicht, dass der Patient nicht möglicherweise ein ganzes Bündel von gefährlichen, kardiovaskulären Risikofaktoren hat, die dringend behandlungsbedürftig sind.
Genetisches Pech
Es gibt genetische Varianten (Polymorphismen des PCSK-9-Gens), deren Träger mit einem außergewöhnlich hohen Cholesterinspiegel durchs Leben gehen. Man muss davon ausgehen, dass auch die gesamten Reparaturvorgänge, Hormonkaskaden und Vitamin D3 in einem solchen Fall nicht alles davon verbrauchen und dass der Rest irgendwo bleiben muss. Da kann eine Senkung angezeigt sein um kardiovaskulären Ereignissen vorzubeugen.
Warum denkt man in einem solchen Fall als erstes an Statine?
- Weil Statine die gängigste und vielleicht beste Medikamentenklasse sind, die es gibt, um den Cholesterinspiegel zu senken.
- Es wirkt wie eine „Beruhigungspille“ – und zwar für Arzt und Patient! Man kann sich vorgaukeln, dass es völlig ok ist, wenn sonst alles beim Alten bleibt, man nimmt schließlich jeden Tag brav eine Tablette.
- Weil sowohl Ärzte als auch Patienten sehr häufig dazu neigen, die Wirkungen von Medikamenten zu überschätzen (In einer schwedischen Studie (2007) schätzten Patienten einen Cholesterinsenker hundert mal effektiver ein, als er tatsächlich war, in Bezug auf die Verhinderung von Herzinfarkten. Je besser die Kommunikation zwischen Arzt und Patient dabei war, desto stärker glaubten die Patienten an die Wirkung des Medikaments (wenn das kein Placebo-Effekt ist!).
- Weil die Alternative – eine Änderung des Lebensstils – oft gar nicht erwähnt wird. Sie ist unbequem und viele glauben, dass es den Aufwand nicht lohnt. („Das sind die Gene! Das liegt in der Familie!“ … )
Und was ist nun das Problem?
Um sich für die Einnahme eines Medikaments zu entscheiden, so ergaben Umfragen, müssen Patienten glauben, dass es ihnen einen Vorteil von 20-30% einbringt – in Form von längerer Lebensdauer, Schutz vor Herzinfarkt, Verbesserung des Arteriendurchmessers etc. … Für viele präventive Medikamente können Studien aber nach 5jähriger Dauereinnahme keine Effekte über 5% belegen – ein eher mageres Plus für die Herz-Kreislauf-Erkrankten.
Ein hoher Preis für einen geringen Nutzen
Während die erwünschte Wirkung der Medikamente also oft unter den Erwartungen der Patienten bleibt, schlagen diese sich wie so häufig mit Nebenwirkungen herum: Muskelschmerzen, Störungen der Leberfunktion (einer meiner Patienten wurde nach zehnjähriger Einnahme von Herzmedikamenten und Statinen von seinem Arzt beim Anblick seiner Leberwerte gefragt, ob er Alkoholiker sei!), mithin die Ansammlung toxischer Substanzen im Körper, die die Leber nicht mehr entgiften kann, Kopfschmerz. Das vieldiskutierte erhöhte Demenzrisiko wäre im Sinne einer hepatischen Enzephalopathie plausibel, ist aber leider nicht einer bestimmten Ursache – Medikamente oder Alkohol – zuzuordnen).
Es gibt die Alternativen zu jahre- oder gar lebenslanger Medikamenteneinnahme und sie sind allemal einen beherzten Versuch wert. Manch einer hat Genuss dabei noch einmal völlig neu entdeckt. Aber dazu mehr beim nächsten Mal.